Weltwärts-Bericht Sophie Große-Rüschkamp

Im August 2014 hat mein Freiwilligendienst im Rahmen des entwicklungspolitischen Freiwilligendiensts weltwärts in Mwanza, einer Stadt im Norden Tansanias angefangen. Ich arbeite hier an der Viktoria English Medium Schule. Ich lebte zunächst einige Monate in der Familie der Leiter der Schule, Switbert Rutinwa aus Tansania und seiner Frau Johanna Sele-Rutinwa aus Liechtenstein. Meine Aufgaben in der Schule sind breit gefächert. Zum einen sind da die administrativen Aufgaben wie Examen tippen und Arbeitsblätter erstellen, aber auch kreatives Programm mit den Kindern. So habe ich z.B. den Sportunterricht gestaltet und gestalte regelmäßig Briefe mit den Kindern, die an befreundete Schulen in Europa geschickt werden. Eine wichtige Aufgabe ist die Kommunikation mit Sponsoren nach Europa, da momentan ca. 60 Kinder durch Patenschaften unterstützt werden. Dazu gehört es, von den Kindern Fotos zu machen und Dankesbriefe und Weihnachtskarten zu basteln. Zwei große Projekte waren zum einen der Dreh eines kurzen Dokumentarfilms über die Schule, sowie eine Projektwoche für alle Kinder ab der 2. Klasse, die im Februar stattfand.

Ich liebe es sehr, für einige Zeit im Ausland zu leben, weil ich Erfahrungen mache, die ich in Deutschland nicht machen könnte und dadurch sehr viel, vor allem auch über mich selber, lerne. Es fällt mir schwer, solche Erfahrungen mit einer anderen Kultur immer sofort zu begreifen und dann auch zu verbalisieren. Mit Hilfe der Begleitung durch meine Organisation (Internationaler Bund) lernen wir zusätzlich, die Dinge in einen gesellschaftspolitischen Zusammenhang zu stellen. Auf den vorbereitenden und begleitenden Seminaren haben wir zusammen mit anderen Freiwilligen diskutiert und uns auseinandergesetzt mit Themen wie Rassismus und der Wohlstandsverteilung unserer Welt. Das habe ich als sehr spannend aber auch nicht immer einfach empfunden, weil man sich selber auch mit schwierigen Themen konfrontiert, wie die eigenen Privilegien und strukturellen Rassismus, der auch in der eigenen Kultur verankert ist.

Hier in Tansania habe ich gemerkt, wie unvollständig mein Bild von „Afrika“ war und bestimmt auch noch ist. Ich habe viele interessante Menschen kennengelernt und der Austausch mit ihnen hat mich sehr bereichert. Ich erlebe die tansanische Kultur als unglaublich gastfreundlich. Ich glaube, die Gesellschaft ist in vielen Dingen sehr gespalten und dennoch leben sehr unterschiedliche Menschen relativ friedlich neben- und miteinander. Zum Beispiel gibt es einen ähnlich großen Bevölkerungsanteil von Muslimen und Christen in Tansania, eine Mischung, die in vielen Teilen der Welt zu erheblichen Konflikten führt. Hier jedoch erlebt man, dass die Menschen der beiden großen Religionen nicht nur friedlich nebeneinander leben, sondern sich in vielen Lebensbereichen, Berufsgruppen, Schulen und Freundeskreisen mischen.

Trotzdem ist Tansania natürlich auch ein Land mit vielen Problemen. Obwohl es ein Land sehr reich an Ressourcen ist, lebt der Großteil der Bevölkerung insbesondere auf dem Land in Armut. Im Gespräch erlebe ich immer wieder die Frustration der Menschen hier, denn natürlich ist allen bewusst, dass es in anderen Teilen der Welt anders aussieht. Durch diese Erlebnisse und durch diesen Austausch merke ich, wie sich meine Sichtweise über mein Leben und mein eigenes Verhalten in Deutschland ändert.

Ein Thema, an dem ich dies besonders merke, betrifft die Gesundheit und die medizinischen Versorgung. Ein tansanischer Freund studiert Medizin und kann mir viel über die Krankenhäuser in Tansania erzählen. Durch ihn hatte ich das große Glück, für zwei Wochen in dem großen Distrikt-Hospital in Mwanza zu hospitieren. Die allermeisten Menschen haben keine Krankenversicherung oder ihre Versicherung zahlt nur wenige Leistungen. Dieses Krankenhaus ist das einzige Krankenhaus im gesamten Distrikt, in dem Ärzte arbeiten, die nicht nur die Grundausbildung absolviert haben, sondern sich auch auf ein bestimmtes Fachgebiet spezialisiert haben, unter ihnen auch ausländische Ärzte z.B. aus den USA oder aus Deutschland. Das Krankenhaus ist jedoch privat und sich dort behandeln zu lassen kostet sehr viel Geld. Für die Menschen hier ist dies also die letzte Option, wenn ihnen sonst keiner helfen konnte. Das führt dazu, dass viele erst dann kommen, wenn die Krankheit schon so weit fortgeschritten ist, dass man ihnen nicht mehr helfen kann. Oder selbst wenn man ihnen helfen könnte, können sie sich die Behandlung nicht leisten oder bestimmte Medikamente sind nicht erhältlich.

Das unterscheidet sich natürlich erheblich vom deutschen System, in dem ich aufgewachsen bin, denn dort wusste ich oft gar nicht, wie hoch die Kosten für meine Behandlung genau sind, weil meine Krankenversicherung alle Kosten übernimmt. Meine Gesundheit musste nie dadurch leiden, dass ich mir Medikamente nicht leisten konnte. Im Gegenteil, meine Familie konnte es sich sogar leisten, mehr Geld für die Versorgung unserer Haustiere auszugeben, als manche Menschen hier für die Versorgung ihrer Kinder haben. Manchmal fühle ich mich gefangen zwischen den beiden Seiten, weil ich es einerseits als absurd empfinde, andererseits die allgemeinen Lebensumstände derart anders sind und ich als Kind natürlich auch viel Freude mit unserem Hund gehabt habe.

Seit Ende März lebe ich bei einer rein tansanischen Gastfamilie und mache hier ganz besonders intensive Erfahrungen. Mein Lebensstil in der Schulleiterfamilie konnte man immer noch als europäisch bezeichnen. Ich hatte dort ein eigenes Zimmer und Bad, eine Waschmaschine und es gab die Möglichkeit europäisch zu kochen. Mein Leben in der tansanischen Familie, ist entspricht mehr den Umständen hier: ich teile mir ein Zimmer mit sechs anderen Menschen und das Bett mit mindestens zwei anderen Familienmitgliedern (wenn Gäste da sind, noch mehr), ich wasche alle meine Wäsche per Hand selber und es gibt jeden einzelnen Abend das gleiche Essen, nämlich Reis mit Bohnen. Dennoch fühle ich mich hier besonders wohl. Ich habe das Gefühl, viel mehr Teil der Familiengemeinschaft zu sein und viel tansanischer zu leben, als vorher. Auch meine Swahili-Kenntnisse haben sich deutlich verbessert, weil die Kinder und die Hausmädchen kein Englisch sprechen. Es ist für mich eine besondere Erfahrung, dass ich mich in der neuen Familie trotz des ungewohnten Lebensstils so viel wohler fühle, weil ich die Familie als zugewandt und liebevoll empfinde.

Insgesamt genieße ich es sehr, in Tansania zu leben, die tansanischen Menschen und ihr vielfältiges Leben kennenzulernen. Insbesondere jetzt, am Ende meines Dienstes, habe ich das Gefühl, mich so richtig eingelebt zu haben, mich auszukennen und meinen Alltag gefunden zu haben.

 

Powered by Website Baker